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Real ID – Spielen im Wandel des Internets

Ich möchte zunächst einmal klarstellen, dass ich bisher weder für, noch vollkommen gegen die Einführung der Real ID bin. Ich halte den Ansatz für recht interessant und zu einem Teil auch zukunftsweisend, aber solange es keine umfassenden Sicherheiten und Kontrollmöglichkeiten für den Einzelnen gibt, sich vor eventuellen Attacken auf seine Person zu schützen, ist die öffentliche Verwendung von Klarnamen im großen Stil nicht der richtige Schritt; oder zumindest noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Aber die wirklich interessante Frage an der Sache ist, warum muss man Bedenken haben, wenn man sich unter seinem wirklichen Namen im Internet bewegt und was bedeutet eine Aufgabe der Anonymität für den Einzelnen? Dieses Thema ist wirklich sehr komplex und wird uns bestimmt noch auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte beschäftigen. Denn die Geister, die man einmal rief, werden sich nicht so schnell wieder vertreiben lassen, wenn sie einmal im Cache von Google sind.

Gewaltig war der Aufschrei nachdem Blizzard seine Pläne zum BattleNet 2.0 ein weiteres Mal konkretisierte und mit der Real ID einen Schritt wagen will, den es so noch nie gab. Statt sich innerhalb des Netzwerks nur unter einem ausgedachten Spitznamen zu bewegen, soll nun der echte Name in bestimmten Bereichen, wie der Freundesliste und den offiziellen Foren herhalten. Die Gründe hierfür dürften vielfältig sein. So mag es zum einen wirklich mit der aufrichtigen Forderung nach mehr Foren- und Spielkultur ernst gemeint sein, aber mit den Klarnamen und der optionalen Facebook-Einbindung gehen noch ganz andere Sachen einher. So öffnen sich so ganz neue Möglichkeiten im Bereich des viralen Marketings und da Blizzard vor allem auch eine wirtschaftlich denkende Firma ist, liegen hier wohl die Hauptgründe zu diesem Schritt. Ein Schritt, der aber auch viel weiter reichende Folgen für manche User bedeuten kann und der aufzeigt, in welche Richtung sich das Internet entwickeln mag. Da ist natürlich Zank und Streiterei, mal mehr und oft weniger sachlich und fundiert, vorprogrammiert und verständlich. Vor allem aber auch wichtig, da es ein kleiner Teil des globalen Prozesses ist, wohin sich das Internet entwickelt, der jeden etwas angeht, der sich darin bewegt.

Was diese Diskussion nun zeigt ist, wie unsicher auf der einen Seite das Internet ist und auf der anderen, wie weit es in das Leben des einzelnen Vorgedrungen ist. Für viele – insbesondere jüngere Leute – würde die Veröffentlichung der Klarnamen wahrscheinlich keine große Veränderung bedeuten, da sie sich praktisch anonym in der »echten Welt« und auch im Internet bewegen. Problematischer wird es, sobald man im Verlauf seines Lebens oder vielleicht auch bei seinen Besuchen im Internet, mehr und mehr öffentliche Spuren hinterlassen hat. Dazu zählt zum Beispiel, wenn man seit dem Bezug der ersten eigenen vier Wänden mit Name, Adresse und Nummer im öffentlichen Telefonbuch vertreten sein sollte. Viele lassen sich einfach dort eintragen ohne die Konsequenzen in unseren »modernen Zeiten« zu bedenken, was scheinbar unverzichtbar ist, wenn man sich die Bereitschaft zum Missbrauch ansieht. Haben sie dann noch gleichzeitig einen Facebook-Account, wird die ganze Sache noch interessanter, weil bei einer Suche nach einem Namen auch gleichzeitig Facebook gecheckt wird und die Ergebnisse direkt unter den Suchergebnissen angezeigt werden. So hat ein findiger Möchtegern Sherlock Holmes im besten Fall, neben der kompletten Anschrift, auch gleich noch ein Gesicht und eventuell weitere Informationen zu seinem Zielobjekt erhalten.

ABER: Im Großen und Ganzen ist jeder immer noch Herr seiner eigenen Informationen und Daten. Wenn ich nicht schon an anderer Stelle freigiebig mit Adressdaten und Infos über meine Hobbys und anderen Dingen war, wird auch nach der Veröffentlichung meines Namens im Internet nicht mehr zu finden sein. Ist das Kind aber einmal in den Brunnen gefallen, wird es immens schwierig oder gar unmöglich, die einmal an irgendeiner Stelle veröffentlichen Daten wieder aus den weiten des Netzes zu entfernen. So sind die Sorgen mancher, dass sie, sobald sie die Anonymität verlassen und unter ihrem richtigen Namen schreiben, zu einer Zielscheibe werden können, nicht unbegründet und durchaus verständlich. Auch das Argument, dass man eventuell bei einem Bewerbungsverfahren unten durch ist, wenn der eigene Name sehr häufig in einschlägigen Foren vorkommt, ist vielleicht weiter hergeholt, weil der Personalchef dann ja immer noch nur den Namen hat und ohne weitere Informationen nicht eindeutig auf die Person schließen kann, aber auch nicht völlig an den Haaren herbeigezogen.

Nehmen wir mal den Fall Micah Whiple alias Bashiok, seines Zeichens Associate Community Manager bei Blizzard, das „erste Opfer der RealID“. Natürlich ist es erstaunlich, wie schnell und wie viele Informationen über ihn gefunden werden konnten, aber zum einen hat er diese zum Großteil wahrscheinlich selber, wissentlich irgendwann veröffentlicht und zum anderen ist es nicht so, dass er seinen Namen jetzt erst öffentlich gemacht hat, sondern dieser schon seit längerem bekannt war. Als Mitarbeiter der Firma steht sein Name beispielsweise im Abspann der letzten Blizzard-Titel oder den dazugehörigen Handbüchern. Erschreckend und bedenklich für ihn und alle anderen, die sich nun in Schadenfreude suhlen, sollte dabei allerdings sein, welche Informationen unwissentlich von ihm zu finden sind. Allerdings spielt der Umstand, dass von vielen Leuten schon Namen bekannt sind und das bei manchen schon über Jahrzehnte, plötzlich gar keine Rolle mehr. Was sollen denn beispielsweise Journalisten oder Moderatoren in Radio und Fernsehen sagen? Der Unterschied ist zwar, dass diese eine gewisse Funktion bekleiden und vor allem, dass ihr Schritt in die Öffentlichkeit willentlich geschehen ist und nicht gezwungenermaßen, aber im Kern ändert das nichts an dem Umstand, dass ihr Name mehr oder weniger lang, öffentlich für jeden einsehbar ist, wie es nun nach den Plänen Blizzards für ihre Foren geschehen soll. Woher also die Angst, dass einem nun, aufgrund des öffentlichen Namens, das Leben zur Hölle wird?

Bemerkenswert ist schonmal, wie selbstverständlich asoziales Verhalten und das Ablegen gesellschaftlicher Umgangsformen im Internet sind. Erstaunlich wie weit hier die Hemmschwellen sinken und semi-kriminelle Handlungen an der Tagesordnung sind oder zu sein scheinen, wenn, aufgrund des globalen Aufbaus des Internets, verbindliche rechtliche Grundlagen für alle fehlen und man dazu noch nahezu völlig anonym ist. Scheinbar ist es für einen nicht unerheblichen Teil von Internetnutzern immer noch ein toller Spaß, jedwede gesellschaftliche Regeln und Umgangsformen aufzugeben, sobald der Browser angeschmissen wird und dann mal so richtig die Sau rauszulassen, weil zum einen niemand weiß, wer sie sind und zum anderen sie damit auch keine Konsequenzen zu fürchten haben.
Auf der anderen Seite scheinen vielen Leuten die Konsequenzen ihres Handelns im Netz aber auch nicht bewusst zu sein und wie angreifbar sie sich durch die Veröffentlichung oder Weitergabe ihrer Daten machen, wenn sie doch eigentlich nur ihren Freunden bei Facebook ihre Fotos vom Ballermann zeigen wollten und sie plötzlich zum Gespött anderer werden. Mit dem Internet kamen einfach auch neue Verantwortungen und Risiken auf den Einzelnen zu, die Kinder im SchülerVZ oder Omas auf der Suche nach einem günstigen Hotel im Schwarzwald und viele andere nicht absehen können.

Das Geschrei nach Verletzung des Datenschutz hat mit der Diskussion um die Klarnamen in Foren und Spielen aber nur bedingt zu tun. Es wird nicht in Abrede gestellt, das jemand mit ausreichend Energie und Kenntnissen durch den Namen leichter an bestimmte Informationen kommen kann, aber für den Otto-Normal-Nutzer ist es schlicht und einfach nicht möglich, allein anhand des Namens ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen, da ihm nur die Informationen zur Verfügung stehen, die die betreffende Person öffentlich verbreitet. Was eine Firma mit den Daten, die jemand bei ihr hinterlässt, sonst anstellt, steht dabei auf einem völlig anderen Blatt Papier und hat nichts damit zu tun, ob neben Beiträgen in einem Forum und in einer Freundesliste ein echter Name steht oder nicht.

Das Problem scheint also nicht nur die Aufgabe der Anonymität an sich zu sein, jedenfalls wenn man im Internet nichts anstellen will, was man im wirklichen Leben nicht auch machen würde, sondern vielmehr die mangelnde Sicherheit und Kontrolle, die mit diesem Schritt aus der Anonymität einhergeht. Würde für jeden Internetnutzer gelten, dass er sich nur unter seinem Namen im Netz äußern oder bestimmte Informationen abfragen kann und er aber gleichzeitig auch über alle Abfragen der eigenen Daten, von den nun nicht mehr anonymen Leuten, informiert wird, wäre die Akzeptanz einer solchen Maßnahme wahrscheinlich deutlich größer. Problematisch wäre natürlich, dass wir damit den gläsernen Internetnutzer hätten; jedenfalls wenn er oder sie sich irgendwo öffentlich äußern will. Vorausgesetzt ist dabei aber, dass das Internet nicht mehr als die anarchische Zweitwelt wahrgenommen und genutzt wird, wie es heute und in absehbarer Zukunft der Fall sein wird. Blizzards Vorstoß, in der abgeschotteten Spielewelt ein System des Social Networkings etablieren zu wollen, ist dabei aber nichts weiter als ein kleiner Absatz in der Geschichte, wohin sich das Internet in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird. Fakt ist, dass es sich verändern wird und ziemlich sicher ist auch, dass es mit gewissen Einschränkungen für den Einzelnen einhergehen wird. Davon wird sicherlich vor allem die Privatsphäre betroffen sein. Auf der anderen Seite stehen aber auch Sicherheiten und damit auch die Möglichkeit für weniger netzerfahrene Leute sich im Internet zu bewegen, ohne fürchten zu müssen mit jedem Klick einen Fehler gemacht zu haben. Denn eigentlich kann niemand ein Internet wollen, das ein rechtsfreier Raum für misanthropische Tasten-Desperados ist, in dem das Gesetz des Kenntnisreicheren regiert.

Bleiben eigentlich nur zwei Fragen offen: Zum einen, ob ein Internet voller Klarnamen, sofern es irgendwann einmal durchsetzbar ist, für mehr Sicherheit und Umgangsformen sorgen würde. Und zum anderen, ob es überhaupt erstrebenswert ist, zwar sicher, aber vollkommen vernetzt zu sein und damit die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Leben aufgehoben werden, so man denn an den vielen Vorzügen des Internets teilhaben will…

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